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Analphabetismus, geringe Literalität & Co. – Wie sagt man?

Analphabetismus, geringe Literalität & Co. – Wie sagt man?
© Foto: Andrea Katheder

Analphabetismus, geringe Literalität, funktionale Analphabeten, Erwachsene mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, Legasthenie …

Im allgemeinen Sprachgebrauch, in der Fachsprache und auch auf unserer Website werden verschiedene Begriffe benutzt. Warum ist das so und welcher ist ‚richtig‘?

Verschiedene Bezeichnungen für Lese- und Schreibprobleme

Wissenschaftliche Begriffe:

  • funktionaler Analphabetismus
  • geringe Literalität
  • Legasthenie

Bezeichnungen aus dem allgemeinen Sprachgebrauch:

  • Menschen, die nicht so gut lesen und schreiben können
  • Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben
  • Analphabeten
  • Personen mit Lese-Rechtschreibschwäche

Unpassend: Legasthenie und Lese-Rechtschreibschwäche

Lese-Rechtschreibschwäche und Legasthenie werden oft synonym verwendet. Besonders bei Legasthenie steht ein medizinischer Kontext im Vordergrund; hier spielen neurobiologische Ursachen und mögliche Vererbbarkeit eine Rolle.

Die Unterscheidung zu geringer Literalität ist auch in Fachkreisen nicht abschließend geklärt, jedoch zielt letztere nicht auf medizinische, sondern v. a. auf schulische, soziale oder familiäre Ursachen (und deren Zusammenspiel), die den Zugang und das Erlernen von Lesen und Schreiben erschweren.

Veraltet: funktionaler Analphabetismus

Der Begriff des funktionalen Analphabetismus wurde bereits in den 1960er-Jahren durch die UNESCO geprägt, die aufzeigen wollte, dass es neben dem ‚klassischen‘ Analphabetismus in Ländern ohne Schulsystem eine Form des sogenannten Analphabetismus in Industriestaaten gibt, obwohl eine Schulpflicht existiert. Funktional bedeutet, dass es eine Abweichung gibt von den gesellschaftlich erwarteten schriftsprachlichen Fähigkeiten, so dass die Funktionen von Schrift von betroffenen Personen nicht genutzt oder nur eingeschränkt angewendet werden können.

Der Begriff gilt heute, da er das Wort ‚Analphabet‘ enthält, als stigmatisierend und ausgrenzend. Er ist somit ungeeignet für die Arbeit mit betroffenen Menschen. Außerdem ist er schwer zu verstehen, weil er stark erklärungsbedürftig ist.

In Fachkreisen favorisiert: geringe Literalität

Funktionaler Analphabetismus und geringe Literalität beschreiben das gleiche Phänomen: dass Buchstaben, Wörter und Sätze bis zu einem gewissen Grad gelesen und geschrieben werden können, der Inhalt eines Textes jedoch nicht verstanden wird.

Mit der Leo-Studie 2018 wurde der Begriff ‚funktionaler Analphabetismus‘ durch ‚geringe Literalität‘ abgelöst: „Geringe Literalität bedeutet, dass eine Person allenfalls bis zur Ebene einfacher Sätze lesen und schreiben kann.“ (LEO 2018, S. 4)

Dabei werden unterschiedliche Kompetenzstufen beschrieben:

  • Alpha-Level 1 entspricht der Buchstabenebene, d. h. eine Person kann nur Buchstaben lesen. Dieser Fall ist in Deutschland sehr selten.
  • Alpha-Level 2 entspricht der Wortebene, d. h. eine Person kann einzelne Wörter lesen oder schreiben, Sätze aber nicht.
  • Alpha-Level 3 entspricht der Satzebene, d. h. eine Person kann einzelne Sätze lesen und schreiben. Zusammenhängende Sätze bzw. Texte können jedoch nicht sinnentnehmend gelesen und verstanden werden.

Geringe Literalität umfasst diese drei Alpha-Level.

Kompetenzen auf dem Alpha-Level 4 werden durch eine fehlerhafte Rechtschreibung auch bei einfachen Wörtern beschrieben. Die Rechtschreibung entspricht dem Stand zum Ende der Grundschulzeit.

Wie sagt man denn nun? Ein Fazit

Wie so oft gibt es kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Je nachdem, wer die verschiedenen Begrifflichkeiten in welchem Kontext benutzt, kann die eine oder andere Bezeichnung passender sein.

Wir schließen uns der fachlichen Terminologie an und reden deshalb oft von geringer Literalität bzw. gering literalisierten Erwachsenen. Da jedoch auch dies stark erklärungsbedürftig ist, sprechen wir noch öfter von Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.

Wir möchten niemanden stigmatisieren. Trotzdem – vielleicht ist es Ihnen aufgefallen – benutzen wir auf unseren Internetseiten häufiger den Begriff ‚Analphabeten‘. Aus einem einfachen Grund: Dies ist auch der in der Bevölkerung gängige Begriff, der in Suchmaschinen eingegeben wird und über den wir gefunden werden wollen – um dann Aufklärung zu betreiben.

Betroffene Personen sprechen übrigens aus ähnlichen Gründen von sich selbst häufiger als Analphabeten oder funktionalen Analphabeten: Der Begriff ist ihnen und anderen länger bekannt und einfacher auszusprechen. Oft sagen sie aber einfach, dass sie nicht gut lesen oder schreiben können.

beziehungsweise

Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.

Analphabetismus bedeutet, dass jemand überhaupt nicht lesen und schreiben kann. Dies ist in Deutschland sehr selten. Viele Menschen haben aber große Probleme mit dem Lesen und Schreiben schon von einfachen Texten. Weil das Wort betont, etwas nicht zu können, und damit ausgrenzt, sprechen wir eigentlich lieber von „geringer Literalität“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.

Wir haben uns – mit Bauchschmerzen – für die Verwendung des Begriffs auf dieser Website entschieden, da viele Menschen über den Suchbegriff „Analphabetismus“ auf unsere Angebote stoßen und diese nutzen können.

Stigmatisieren bedeutet, jemanden in irgendeiner Weise negativ von anderen abweichend einzustufen und entsprechend zu behandeln.

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