Zum Hauptinhalt springen

Erfolgsgeschichte Harald Gaul„Durchs Lesen öffnen sich Türen“

© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Harald Gaul

Lerner-Experte

„Bin ich erfolgreich? Naja. Ich habe schon einiges geschafft. Es müssen auch nicht immer die großen Dinge sein. Ich freue mich auch über die kleinen Erfolge.“

  • geht gerne spazieren
  • hat sich viel mit Religion beschäftigt
  • unterstützt das GBZ seit Anfang an!
  • Motto: Das Leben ist vielschichtig

Mein Name ist Harald Gaul. Meine Kumpels nennen mich Harry.  Mein Sternzeichen ist Jungfrau. Ich weiß sogar mein chinesisches Sternzeichen: Feuerhahn. Ich bin in einer religiösen Familie groß geworden, deswegen habe ich mich auch mit Religion und Philosophie beschäftigt. Ich habe viel ausprobiert. Eine Bibel habe ich auch zu Hause. Eine Zeitlang wollte meine Mutter, dass wir zusammen studieren, aber ich habe es irgendwann gelassen, ich hatte damals andere Sorgen: Mit 13 habe ich angefangen, auf dem Markt zu arbeiten, ich wollte mir ein Fahrrad leisten; später habe ich dann auf dem Bau gejobbt. Außerdem habe ich versucht, eine Lehre als Verkaufshilfe zu machen.

„Dass du nicht lesen und schreiben kannst, ist nicht deine Schuld. Du darfst auch ruhig ein bisschen wütend sein, dass die Gesellschaft das Thema verdrängt.“

Harald Gaul

Ich habe schon in der Schule gemerkt, dass ich Probleme mit dem Lesen und Schreiben hatte. Mein Bruder und meine Schwester haben das besser gelernt. Es hat bis 2011 gedauert, bis ich mich entschieden habe, noch mal zu lernen. Zuvor war ich in diversen Maßnahmen, zum Beispiel im Gartenbau und einer Fahrradwerkstatt. Grundsätzlich habe ich die Zeit, in der ich arbeiten konnte, sehr gemocht. Da hatte ich genügend Geld. Aber irgendwann wollte ich mehr und ich bin zum Bewerbungstraining gegangen. Da sitzt du dann mit 18 Leuten, kannst aber im Prinzip nicht richtig mitmachen, weil dir etwas fehlt, was die anderen können: Lesen und Schreiben. Ich habe dann aber über meine Probleme gesprochen.

© Foto: Tim-Thilo Fellmer
© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Zusammen mit dem Jobcenter habe ich dann den A.O.B. e.V. gefunden, dort habe ich bis 2014 gelernt. Dann bin ich zu Lesen und Schreiben e.V. gewechselt, dort war ich bis 2019 – bis zu meinem Herzinfarkt. Für mich war das Lernen am Anfang psychisch anstrengend. Ich musste mich anders organisieren, ich brauchte Ordner, Stifte. Es hat etwas gedauert, bis ich richtig angekommen war – im Lernen. Am besten hat mir die Gemeinschaft dort gefallen. Ich fand es schön zu sehen, dass es auch andere Menschen mit ähnlichen Problemen gab, die aber alle auch besondere Fähigkeiten hatten. Ich weiß noch, ein Schüler konnte z.B. wunderschöne Figuren aus Metall herstellen. Andere hatten ein Supergedächtnis.

Ich fand es auch toll, in den Kursen Menschen kennenzulernen, die nicht in Deutschland geboren sind, manchmal schon in ihrer Muttersprache Probleme hatten und nun sogar noch eine weitere Sprache lernen müssen. Ich habe in den 8 Jahren auf jeden Fall eine Menge dazu gelernt. Für mich hat es sich auf alle Fälle gelohnt, noch einmal zur Schule zu gehen. Ich gehe offener auf Menschen zu, bin selbstbewusster geworden. Trotzdem – obwohl ich viel gelernt habe, in den letzten Jahren – bin ich immer noch auf Jobsuche. Mit dem Jobcenter ist es manchmal immer noch anstrengend, aber es hilft, dass ich mich erklärt habe – sowohl was das Lesen und Schreiben betrifft als auch meine gesundheitlichen Probleme nach dem Herzinfarkt. Danach musste ich kürzertreten.

In meiner Freizeit lese ich viel auf meinem Handy, Nachrichten zum Beispiel. Das Handy ist schon ein sehr nützliches Gerät, aber mitunter muss ich es weglegen, weil ich manchmal zu viel damit mache. Ich versuche, Ordnung zu halten. Außerdem mache ich viel Gymnastik, um fit zu bleiben. Und ich gehe viel spazieren. Und für das Thema Grundbildung engagiere ich mich auch! Zuletzt war ich mit anderen Experten in eigener Sache auf der Leipziger Buchmesse und habe da Öffentlichkeitsarbeit für die Grundbildung gemacht. Wir haben dort einen Stand betreut. Da haben wir mit vielen Menschen gesprochen und wir haben auch Interviews gegeben.

Mein Grund für Grundbildung? Ich weiß, wie es ist, diskriminiert zu werden, weil man nicht so gut lesen und schreiben kann. Aber ich weiß auch, dass man es lernen kann, wenn man dranbleibt. Das habe ich selbst erlebt. Ich will anderen helfen, damit sie nicht in die gleiche Situation kommen wie ich. Durchs Lesen öffnen sich Türen.

Menschen, die Probleme haben, würde ich raten, mehr Mut zu haben. Klar, der kommt nicht einfach so. Aber man muss sich bewusst machen: Es geht um dein eigenes Leben. Und dass du nicht lesen und schreiben kannst, ist nicht deine Schuld. Du darfst auch ruhig ein bissen wütend sein, dass die Gesellschaft das Thema verdrängt. Es wird dir echt nicht leicht gemacht! Mir jedenfalls hat auch die Wut geholfen, mutig zu sein. Ich wollte es mir selbst, aber auch anderen beweisen! Und möchte anderen helfen, ebenfalls den ersten Schritt zu tun. Ich möchte ihnen Mut machen. Und ihnen sagen, dass man so auch wieder Lebensfreude bekommt.

„Mein Grund für Grundbildung? Ich weiß, wie es ist, diskriminiert zu werden, weil man nicht so gut lesen und schreiben kann. Aber ich weiß auch, dass man es lernen kann, wenn man dranbleibt. Das habe ich selbst erlebt.“

Harald Gaul

Manchmal fand ich es deprimierend, von anderen abschätzig behandelt zu werden, nur weil ich schlechter als sie lesen und schreiben konnte. Aber funktionale Analphabeten sind alle nicht auf den Kopf gefallen! Ich bin froh, dass ich es noch mal angegangen bin; und ich bin froh darüber, was ich erreicht habe.

Bin ich erfolgreich? Naja. Ich habe schon einiges geschafft. Es müssen auch nicht immer die großen Dinge sein. Ich freue mich auch über die kleinen Erfolge. Heute Morgen habe ich mir ein leckeres Frühstück gemacht. Oder im letzten Frühling – als alles wieder grün geworden ist und die Kinder wieder draußen gespielt haben. Das Leben ist ein Kreislauf, die Jahreszeiten; es gibt gute und schlechte Dinge auf der Welt. Für mich kommt es darauf an, dass ich mich auf die guten Dinge konzentriere. Und ich freue mich, wenn ich anderen dabei helfen kann, die Welt positiv zu sehen. Ohne positive Einstellung fällt alles schwerer. Wenn ich mal schlechte Laune habe, gehe ich spazieren und unterhalte mich mit anderen Menschen.

Das Leben ist vielschichtig. Man muss sich alles aus verschiedenen Perspektiven ansehen.

zum Beispiel

Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.

„e.V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.

Grund-Bildungs-Zentrum

Es gibt bundesweit verschiedene GBZ. Die GBZ beraten Betroffene und ihre Angehörigen, informieren die Öffentlichkeit über Schriftsprachschwierigkeiten und bauen Netzwerke auf. Viele bieten Lernangebote an. In Berlin gibt es keine Kursangebote.

Nach
oben