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Erfolgsgeschichte Steffi Barkowski„Manchmal bin ich sprachlos, was ich schon alles hinbekommen habe.“

Foto: Tim-Thilo Fellmer

Steffi Barkowski

Lernerin

„Meiner Erfahrung nach werden Menschen zu oft über einen Kamm geschert, dabei sind alle unterschiedlich.“

  • hat ein Zwergkaninchen namens Lucky
  • Lieblingsbuch: Romeo und Julia
  • spielt Fußball
  • Motto: Schritt für Schritt. Eins nach dem anderen.

Mein Name ist Stephanie, aber ich möchte Steffi genannt werden. Ich bin 23 Jahre alt und in Berlin-Moabit geboren. Zur Schule gegangen bin ich in Berlin-Mitte. Das war eine Förderschule. Da habe ich viele Inhalte in Deutsch und Mathe gar nicht gelernt. Wäre ich noch einmal ein Kind, wäre ich gerne auf eine andere Schule gegangen, auf eine, die mich besser gefördert hätte. Damals hatte ich den Förderstatus „geistige Entwicklung“, aber das hat sich geändert. Jetzt habe ich den Förderstatus „Lernen“. Mein Ziel war es immer, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich Probleme hatte, die Theorie zu verstehen. Ich wollte aber eine Ausbildung in der Hauswirtschaft machen. Mein Ziel ist es, einmal im Kindergarten zu arbeiten. Deswegen habe ich im Internet geschaut und bin auf den Verein Lesen und Schreiben e.V. gestoßen. Hier lerne ich jetzt seit zwei Jahren.

„Mehr Werbung für das Thema wäre toll. Schulen, Ämter und Behörden sollten darüber informiert sein, dass es viele Menschen gibt, die nicht gut lesen und schreiben können.“

Steffi Barkowski

Im Alltag hatte ich oft Probleme, bei Arztbriefen zum Beispiel oder einfach bei der Frage, wie ich von A nach B komme. Trotzdem war ich mir immer sicher, dass ich mehr will. Ich habe mich dann dahintergeklemmt und viel mit dem Arbeitsamt gesprochen. Die beraten mich jetzt auch wegen meines Reha-Status. Beim letzten psychologischen Gutachten ist herausgekommen, dass ich eine Ausbildung machen darf. Diese mache ich voraussichtlich beim Berufsbildungswerk Annedore-Leber. Da mache ich bald ein Praktikum, um zu sehen, wie weit ich bin. Wenn das gut läuft, würde ich danach eine Maßnahme zur Vorbereitung auf die Ausbildung machen.

Es war nicht immer leicht. Und von allein ist das nicht passiert. Ich habe schon gekämpft. Meiner Erfahrung nach werden Menschen zu oft über einen Kamm geschert, dabei sind alle unterschiedlich. Meine Strategie? Ich sage allen immer offen und ehrlich, wie es ist. Und ich gebe mein Bestes. Ich versuche, auch offen über meine Schwierigkeiten und Ängste zu reden. Wenn ich etwas nicht allein schaffe, lasse ich mir helfen. Wegen meiner Ängste bin ich zum Beispiel jetzt auch bei einer Psychologin. Das hilft. Ich kenne jetzt einige Mittel, die helfen. Manchmal höre ich Musik, um mich abzulenken, oder ich spreche Leute an und frage, ob sie mir helfen können. Manchmal gehe ich auch einfach raus aus der Situation. Was mir auch immer hilft, ist, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Aber es hilft.

Foto: Tim-Thilo Fellmer
Foto: Tim-Thilo Fellmer

Am Anfang war das Lernen für mich ungewohnt und neu. Ich war unsicher. Geholfen hat mir, dass bei „Lesen und Schreiben“ alle so verständnisvoll sind. Die Lehrer:innen nehmen viel Rücksicht auf uns Schüler. Und auch die Lernenden helfen sich hier gegenseitig. Es ist nicht immer leicht, dranzubleiben, aber ich versuche, nicht aufzugeben, auch wenn ich etwas mehr Zeit brauche. Was mir hilft: Sachen aufschreiben. Das ist bei vielen anderen Schülern anders, aber mir hilft das Aufschreiben. Dann kann ich sie mir besser merken. Auch Bilder helfen mir, etwas zu verstehen oder mich zu erinnern.

Manche Leute machen Druck: „Jetzt bist du schon über 20 Jahre alt. Warum gehst du denn nicht arbeiten?“ Aber ich lasse mich nicht stressen. Ich wurde anders gefördert und nehme mir jetzt die Zeit, die ich brauche, um alles nachzuholen. Ich bin fleißig und ehrgeizig und bleibe am Ball. Keiner weiß, was in meinem Leben passiert ist. Ja, wenn ich noch mal jung wäre, dann würde ich auf eine andere Schule gehen, die meine Fähigkeiten erkennt und mich besser fördert; aber jetzt muss ich es so schaffen. Und das werde ich. Weil ich ein Ziel habe. Ich will auf den ersten Arbeitsmarkt!

Ich finde es schade, dass es nicht mehr Vereine wie den Lesen und Schreiben e.V. gibt. Und dass Ämter wie das Jobcenter oft auch gar nicht wissen, dass es so etwas gibt – Orte, an denen Menschen noch einmal lernen können und so gefördert werden, dass sie ihre Ziele erreichen können.

Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich noch mehr Politiker:innen darauf aufmerksam machen, dass es Menschen wie uns gibt. Ich fände es toll, wenn an alle gedacht wird. Jeder soll eine Chance haben. Ich habe nicht das Gefühl, dass das jetzt schon so ist. Ich fühle mich manchmal ausgegrenzt oder in eine Schublade gesteckt. Es kann doch nicht sein, dass es heißt: einmal Förderschwerpunkt, immer Förderschwerpunkt. Menschen können sich doch entwickeln. Ich wusste von Anfang an, dass ich mehr kann, aber es war schwer, eine Chance zu bekommen.

Mehr Werbung für das Thema wäre toll. Schulen, Ämter und Behörden sollten darüber informiert sein, dass es viele Menschen gibt, die nicht gut lesen und schreiben können. Für diese Menschen sollten Hürden abgebaut werden. Mein Wunsch wäre auch, dass Einfache Sprache verbreiteter wäre. Und es sollte für alle die Möglichkeit geben, auch später im Leben noch zu lernen. Ich würde auch selbst gerne Werbung für das Thema machen, bei TikTok, Instagram, YouTube. Plakatwerbung draußen in Berlin in Einfacher Sprache wäre auch schön, vielleicht mit einem QR-Code. Ich selbst nutze ein Smartphone. Das ist schon in vielerlei Hinsicht eine Erleichterung, aber ich finde es schwer, dass so viel auf Englisch ist. Das nervt.

„Mein Wunsch wäre auch, dass einfache Sprache verbreiteter wäre. Und es sollte für alle die Möglichkeit geben, auch später im Leben noch zu lernen.“

Steffi Barkowski

Viele Menschen haben Angst, aber niemand braucht Angst zu haben, offen über seine Probleme zu sprechen. Nur so kann man sie angehen. Es kann nichts Schlimmes passieren. Wir wollen doch alle etwas verändern. Je mehr mitmachen, desto schneller ändert sich was. Ich glaube ohnehin, dass Menschen, die selbst Probleme beim Lesen und Schreiben haben, anderen manchmal besonders gut helfen können. Ich würde auch gerne helfen und anderen Mut machen. Sicher, auch ich habe Probleme, aber ich habe auch schon einiges geschafft. Das würde ich anderen raten: Hört nicht immer nur darauf, was andere sagen. Jedes Gutachten über euch kann falsch sein. Vielleicht kann ich für andere auch ein Vorbild sein. Ich hätte nichts dagegen, meine Meinung auch im Internet, im Radio oder im Fernsehen zu sagen.

Klar, man kann nicht immer lernen. Zu Hause habe ich außerdem noch ein Zwergkaninchen, Lucky. In meiner Freizeit spiele ich Fußball. Dreimal in der Woche spiele ich bei einem Jugendclub. Ich bin da zwar die Älteste, aber ich freue mich, dass ich da mitmachen darf. Ich wohne nah bei meiner Mutter in einer WG in Moabit. Moabit mag ich sehr gerne, da kenne ich mich gut aus, und direkt vor der Tür habe ich einen Fußballplatz. Es war ein großer Schritt für mich, von zu Hause auszuziehen. Jetzt fühle ich mich selbstständiger. Trotzdem ist meine Mutter immer für mich da.

„Wo ich mich in zehn Jahren sehe: Dann möchte ich im Kindergarten in der Küche arbeiten.“

Steffi Barkowski

Es gibt viele Probleme im Alltag. Zum Beispiel beim Einkaufen. Es ist nicht immer leicht, zum Beispiel wenn ich Mengenangaben umrechnen muss. Da muss ich manchmal andere Menschen fragen, aber ich möchte es selbst können. Auch beim Arzt, bei den ganzen Sachen, die man ausfüllen muss, ist es manchmal schwer. Da lasse ich mir übers Handy von einer KI helfen oder ich frage fremde Leute. Das erfordert auch Mut, aber ich mache das dann einfach. Meine Mutter hilft mir auch, zum Beispiel beim Bearbeiten meiner Post. Sie hat auch eine Vollmacht. Aber ich habe keinen Betreuer. Denn, wie gesagt, ich will das allein können!

Foto: Tim-Thilo Fellmer

Wo ich mich in zehn Jahren sehe: Dann möchte ich im Kindergarten in der Küche arbeiten. Ich möchte meine Arbeit selbstständig erledigen, meine eigene Wohnung haben und dort allein wohnen. Dann möchte ich auch ein paar mehr Kaninchen haben, zwei oder drei, und ich möchte finanziell selbstständig sein. Bis dahin möchte ich meine Ängste auch besser in den Griff bekommen. Jetzt ist es manchmal echt anstrengend. Aber – Schritt für Schritt. Eins nach dem anderen. Und dann werde ich irgendwann dort ankommen, wo ich hinwill. Das muss ich auch noch lernen: Dinge nacheinander zu machen, nicht alles auf einmal. Aber ich bin dran! Das heißt für mich Erfolg: wenn man das geschafft hat, was man sich vorgenommen hat. Meine größten Erfolge bisher sind, dass ich jetzt bei „Lesen und Schreiben“ bin. Die Lehrer und Lehrerinnen hier haben mir geholfen. Sie haben mir die Tür aufgemacht und sie hatten Geduld mit mir. Seitdem ich hier bin, habe ich schon 9 Bücher gelesen, die ich mir selbst gekauft habe. Mein Lieblingsbuch ist „Romeo und Julia“. Mittlerweile traue ich mich sogar, laut vorzulesen. Und dass ich jetzt den Förderstatus „Lernen“ habe und bald meine Erprobung und hoffentlich die Ausbildung beim Berufsbildungswerk Annedore-Leber anfangen kann.

Manchmal bin ich sprachlos, was ich schon alles hinbekommen habe. Dann denke ich: Wow, vieles habe ich ganz allein geschafft. Und es ist ja noch nicht vorbei.

Einfache Sprache ist eine Form der Sprache, die darauf abzielt, Informationen für Menschen mit begrenzten sprachlichen Fähigkeiten oder kognitiven Einschränkungen leicht verständlich und zugänglich zu machen. Sie liegt zwischen der Standardsprache und der Leichten Sprache.

„e.V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.

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