Als Erwachsene:r nicht gut lesen und schreiben zu können ist immer noch ein Tabuthema. Betroffene trauen sich daher oft nicht darüber zu sprechen. Das ist schade, denn sie haben ganz besondere Erfahrungen und Fähigkeiten: Sie wissen am besten, wie es ist, sich in einer Gesellschaft voller Schrift zu bewegen. Lernende, die den Schritt gewagt haben Grundbildung nachzuholen, öffnen sich und anderen neue Türen.
Dazu muss man viel Mut und Kraft aufbringen und den Willen haben, etwas zu verändern. Das verdient Hochachtung! Umso wertvoller wird der Erfahrungsschatz dieser Menschen, wenn sie sich entschließen, offen mit ihrer Geschichte umzugehen und ein Vorbild für andere zu sein.
Deswegen arbeiten wir im Grund-Bildungs-Zentrum Berlin in allen Belangen eng mit Betroffenen und ehemaligen Betroffenen zusammen: Sie klären zum Beispiel in der Öffentlichkeit zum Thema Analphabetismus auf, machen anderen Betroffenen Mut und beraten Fachleute und Partner:innen von uns, wie sie einfacher kommunizieren und mehr Teilhabe möglich machen können.
Als Botschafter:innen für Alphabetisierung und Teilhabe bringen sie ihre Expertise in unsere Arbeit mit ein und sind unverzichtbarer Teil unseres Teams!
„Durch mein Engagement fürs Grund-Bildungs-Zentrum habe ich gemerkt, dass ich gebraucht werde. Und dass ich anderen wirklich helfen kann!“
— Harald
Motiviert und aktiv etwas verändern und Vorbild sein
Es gibt viele Möglichkeiten für Lernende, uns ehrenamtlich zu unterstützen und dadurch anderen Betroffenen zu helfen. Je nach Interesse und Fähigkeiten, können Lernende in verschiedenen Bereichen aktiv werden und eigene Ideen einbringen. Wir unterstützen und begleiten sie dabei.
Viele Lernende unterstützen das Grund-Bildungs-Zentrum Berlin bei Schulungen. Zusammen mit einer Lehrkraft informieren sie Interessierte über das Thema. Als Expert:innen in eigener Sache erzählen sie dabei von ihrem Leben und beantworten Fragen der Teilnehmenden. So helfen sie den Teilnehmenden der Schulung zu verstehen, wie es sich anfühlt, Probleme mit dem Lesen und Schreiben zu haben – und welche Hilfe wünschenswert wäre.
Lernende helfen dem Grund-Bildungs-Zentrum auch dabei, die Öffentlichkeit zu informieren. Das kann durch Unterstützung bei öffentlichen Veranstaltungen sein (z. B. Infostände oder Fachveranstaltungen), aber auch durch Interviews mit der Presse.
Das Grund-Bildungs-Zentrum Berlin verleiht das Alpha-Siegel an Einrichtungen, die Hürden für Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten senken, etwa durch Flyer mit leichtem Text, Internetseiten in Einfacher Sprache und verständliche Ausschilderungen vor Ort.
Engagierte Betroffene überprüfen gemeinsam mit uns Dokumente auf Verständlichkeit und begleiten uns bei Begehungen von Einrichtungen. Hier geben sie wertvolle Hinweise, wie sie sich zurechtfinden und was verbessert werden kann.
„Es macht richtig Spaß, sich einen Flyer anzuschauen und Tipps zu geben, wie er einfacher werden kann. Ich finde es toll, dass meine Ideen aufgegriffen werden.“
Thomas
Erfahrungswissen, Augenhöhe und Selbstwirksamkeit
Immer mehr Betroffene bringen ihr Erfahrungswissen ein. Als Expert:innen in eigener Sache bzw. als Lernbotschafter:innen engagieren sie sich für ihr Thema, erzählen ihre Geschichten, machen auf ihre Situation aufmerksam, helfen Fachleuten und motivieren andere Betroffene.
„Mir hat es so viel Energie gegeben! Seitdem ich mich engagiere, merke ich, dass ich gebraucht werde. Vorher war ich nur jemand, der etwas nicht kann, was so viele andere Menschen schon können. Jetzt merke ich, dass ich sehr wohl etwas draufhabe.“
— Tina
Wichtig ist dabei auf besondere Weise, dass die ehrenamtlich Tätigen Wertschätzung erfahren und selbstbewusst auf Augenhöhe agieren. Sie bringen ihre Ideen ein und haben so die Möglichkeit, mitzugestalten. Das stärkt sie in ihrem Engagement: Ja, ich will etwas verändern und Vorbild sein. Ja, ich will teilhaben. Und ich möchte, dass meine Stimme in der Gesellschaft gehört wird!
Für manche:n beginnt damit eine erstaunliche Reise, die zu einer persönlichen Erfolgsgeschichte wird.
Für uns ist das Engagement der Lernenden und ehemaligen Betroffenen nicht nur eine wertvolle Bereicherung, sondern auch Teil unserer Philosophie: Nur wenn sie mitmachen, kann sichergestellt werden, dass die Politik und Fachwelt nicht an ihnen vorbei arbeiten! Ihre Stimmen und ihre Erfahrungen sind in allen Arbeitsbereichen des Grund-Bildungs-Zentrums vertreten. Partner:innen und Einrichtungen in Berlin profitieren vom direkten Feedback dieser Zielgruppe. Die Betroffenen selbst schöpfen Mut und Selbstvertrauen und lernen bei ihrem Engagement viel Neues.
„Erst als Harald in der Schulung seine Geschichte erzählt hat, habe ich wirklich verstanden, was es bedeutet, in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben zu können.“
Teilnehmerin einer Sensibilisierungsschulung mit Lerner-Beteiligung
Mitmachen leicht gemacht
Interessierte Lerner:innen oder ehemalige Betroffene können jederzeit einsteigen. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf oder besuchen Sie uns im Treffpunkt „Komm-Café“. Wir treffen uns gerne auch einzeln mit Interessierten, beantworten offene Fragen und machen Mut, sich einzubringen!
Sie möchten uns unterstützen? Oder Sie kennen jemanden, der mitmachen möchte? Rufen Sie uns an. Bei Interesse kommen wir auch einmal zu Ihnen in den Grundbildungs-Kurs und stellen uns und das Komm-Café vor.
Übrigens: Angebote ehrenamtlicher Tätigkeiten von Nicht-Betroffenen im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung nehmen wir auf Wunsch in unsere Stellenbörse auf.
„Sich engagieren“ heißt, sich für etwas einsetzen. Zum Beispiel für ein Thema, dass einen besonders interessiert. In einem Verein oder als Ehrenamtler:in.
beziehungsweise
Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.
Analphabetismus bedeutet, dass jemand überhaupt nicht lesen und schreiben kann. Dies ist in Deutschland sehr selten. Viele Menschen haben aber große Probleme mit dem Lesen und Schreiben schon von einfachen Texten. Weil das Wort betont, etwas nicht zu können, und damit ausgrenzt, sprechen wir eigentlich lieber von „geringer Literalität“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.
Wir haben uns – mit Bauchschmerzen – für die Verwendung des Begriffs auf dieser Website entschieden, da viele Menschen über den Suchbegriff „Analphabetismus“ auf unsere Angebote stoßen und diese nutzen können.