Beate Prokop
Lerner-Expertin
„Ich bin gerne ein Vorbild und ich hoffe, durch mich bekommen viele Menschen Mut.“
- Arbeitet am liebsten im Hintergrund und entwickelt Ideen
- interessiert sich für Polizei und Feuerwehr
- unterstützt das GBZ seit Anfang an
- Motto: Wenn du durch die Hölle gehst – geh weiter!
Mein Name ist Beate. Ich bin in Schlesien, in einem Dorf namens Poppelau geboren. Das ist in Polen. Ich bin aber 1988 mit 17 Jahren nach Berlin gekommen. Jetzt bin ich schon über 35 Jahren in Deutschland. Es war am Anfang sehr schwer. In Polen bin ich zu Schule gegangen, aber ich hatte schon dort eine Lese-Rechtschreibschwäche. Außerdem habe ich einen genetischen Tremor, der es mir schwer macht, Lesen und Schreiben zu lernen.
„Bitte, investiert in Bildung! Lasst Menschen jederzeit lernen, als Kind in der Schule, aber auch später als Erwachsene und Ältere.“
Beate Prokop
Am Anfang konnte ich Deutsch zwar verstehen, aber nicht sprechen. Meine Mutter und mein Vater konnten beide deutsch. Ich konnte das nicht. Ich habe mich sehr geschämt.
Ich bin dann trotzdem förmlich in die Arbeit geschmissen worden. Mein erster Job war in der Reinigung. Da habe ich mit polnischen Frauen aus dem Nachbardorf gearbeitet. Uns wurde alles übersetzt. Ich hatte dann noch weitere Jobs, im Garten- und Landschaftsbau, in einer Behindertenwerkstatt, einer Besenmanufaktur. Erst habe ich gedacht, meine Probleme liegen auch daran, dass ich eine andere Muttersprache habe. „Lern mal richtig Deutsch“ – das musste ich mir häufig anhören. Später habe ich dann erfahren, dass auch viele Deutsche Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben.
Das Arbeitsamt hat mir dann einen Lese- und Schreibkurs empfohlen. So bin ich zu Lesen und Schreiben e.V. gekommen. Dort habe ich dann richtig angefangen zu lernen. Außerdem habe ich da auch viele Deutsche kennengelernt, die Probleme haben. Spätestens da ging mir ein Licht auf. Ich habe zwar einen Migrationshintergrund. Aber auch ich bin funktionale Analphabetin. Viele Menschen mit Problemen beim Lesen und Schreiben haben eine andere Muttersprache. Dass es auch andere mit ähnlichen Problemen gibt, hat mich motiviert noch einmal richtig zu lernen. Ich habe dann auch angefangen, mich mit Sprache zu beschäftigen. Ich habe auch Gedichte geschrieben. Das mache ich immer noch. Die Zeit bei Lesen und Schreiben gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.
Durch eine Dozentin bei Lesen und Schreiben e.V. bin ich zum Grund-Bildungs-Zentrum gekommen. Sie hat mich auf die Idee gebraucht, mich ehrenamtlich zu engagieren. Am Anfang war ich skeptisch. Und ich wusste nicht, ob das wirklich auch für mich ist. Aber jetzt verbinde ich dem Grund-Bildungs-Zentrum Teamwork, Aufmerksamkeit, Verständnis. Ich engagiere mich sehr gern.
Im Grund-Bildungs-Zentrum habe ich gelernt, an meine Ideen zu glauben und daran zu arbeiten. Ich finde es toll, dass das, was ich mir ausdenke, manchmal auch umgesetzt wird. Ein gutes Gefühl! Ich mag es, wie das Team des GBZ mit den Lerner-Expert:innen umgeht. Für mich ist das Arbeit auf Augenhöhe. Wir werden eingebunden, können Ideen einbringen und helfen, dass sie Wirklichkeit werden. Ich habe mir z.B. die Alpha-Siegel-Safari ausgedacht. Da habe ich mich mit dem Siegel an verschiedenen Orten in Berlin fotografieren lassen, um zu zeigen, dass noch viele Orte das Siegel brauchen. Die Safari war der Hammer!
Ein anderes Highlight war der GBZ-Fachtag 2019. Da habe ich eine eigene „Session“ beim Barcamp gemacht. Das Thema: Zusammenarbeit von Lerner-Expert:innen und Fachleuten. Darauf bin ich sehr stolz.
„Mir geht es gut, wenn ich lernen und an Projekten arbeiten kann. Erfolg bedeutet für mich, zusammen mit Menschen Projekte umzusetzen.“
Beate Prokop
Für mich ist das Engagement ein bisschen wie ein Kampf: Ein Kampf um Buchstaben, ein Kampf um Geschichten – für andere Menschen. Aber der Kampf lohnt sich. Ich bin gerne ein Vorbild und ich hoffe, durch mich bekommen viele Menschen Mut. Wer sich traut, noch einmal zu lernen, kann sich so selbst verwirklichen. Manche Stellen meines Lebens waren die Hölle. Aber ich bin nicht stehen geblieben, sondern immer weiter gegangen. Vieles habe ich allein geschafft, viele Entscheidungen habe ich selbst getroffen – das hat mich gestärkt. Ich habe immer nachgedacht, bis alles passte! Und: ich habe nicht aufgehört, zu hoffen. Meine Ausdauer und Hartnäckigkeit haben mich gerettet.
Mein Wunsch an die Politik: Helft Menschen, die Probleme haben! Und bitte, investiert in Bildung! Lasst Menschen jederzeit lernen, als Kind in der Schule, aber auch später als Erwachsene und Ältere.
Mir geht es gut, wenn ich lernen und an Projekten arbeiten kann. Ich habe so vieles im Kopf und das will raus! Erfolg bedeutet für mich, zusammen mit Menschen Projekte umzusetzen. Ich stehe nicht gern in der Öffentlichkeit, am liebsten arbeite ich im Hintergrund und entwickle dort Ideen. Das kann ich gut, und wenn ich das machen darf, dann geht es mir auch gut.
Auch in meiner Freizeit bin ich deswegen recht beschäftigt: Ich engagiere mich in der Kirche, arbeite im Garten, habe aber auch schon mehrere Projekte mit Lesen und Schreiben e.V. gemacht. Außerdem bin ich großer Polizei- und Feuerwehr-Fan. Dazu habe ich auch schon Geschichten geschrieben.
„Sich engagieren“ heißt, sich für etwas einsetzen. Zum Beispiel für ein Thema, dass einen besonders interessiert. In einem Verein oder als Ehrenamtler:in.
zum Beispiel
Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.
„e.V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.
Grund-Bildungs-Zentrum
Es gibt bundesweit verschiedene GBZ. Die GBZ beraten Betroffene und ihre Angehörigen, informieren die Öffentlichkeit über Schriftsprachschwierigkeiten und bauen Netzwerke auf. Viele bieten Lernangebote an. In Berlin gibt es keine Kursangebote.