Daniela Buro
Lerner-Expertin
„Lernen ist ein Prozess. Man ist nicht gleich am Ziel. Das Schöne ist aber der Weg.“
- mag schöne Dinge
- liebt die Oper, Bücher und gutes Essen
- unterstützt das GBZ seit 2017
- Motto: Erlaube dir, zu träumen.
Mein Name ist Daniela Buro. Ich bin 1962 in Berlin geboren. Bis zu meinem 7. Lebensjahr habe ich nicht gesprochen. Das Nicht-sprechen war für mich eine Möglichkeit, mich zu schützen.
Ich war erst ein Jahr alt, als ich von meinen Eltern getrennt wurde. Statt meine Mutter hat mein Vater ihre beste Freundin geheiratet. Meine Mutter hatte schon vorher ein Alkoholproblem, aber danach hat sie massiv angefangen zu trinken. Sie ist 1986 gestorben. Für mich folgte daraus eine Odyssee durch verschiedene Heime. In Heimen habe ich die ersten 10 Jahre meines Lebens verbracht. Aber ich habe kaum Erinnerungen an die Zeit.
„Diktate waren für mich der Horror. Aber ich wollte das können! Deswegen habe ich dann angefangen, Märchen zu schreiben.“
Daniela Buro
Meine zukünftige Pflegemutter – das war meine biologische Großmutter väterlicherseits – habe ich im Heim kennengelernt. Sie hat mich dort oft besucht. Und sie hat auch dafür gesorgt, dass ich ins Benjamin-Franklin-Krankenhaus zu einer Logopädin gekommen bin. Ich war ein stark traumatisiertes Kind, aber mit viel Geduld hat es die Logopädin geschafft, dass ich angefangen habe, zu sprechen. Sie hat mit mir auch lesen und schreiben geübt.
Als ich in die Schule gekommen bin, ist mir das Lesen und Schreiben trotzdem sehr schwergefallen. Diktate waren für mich der Horror. Aber ich wollte das können! Deswegen habe ich dann angefangen, Märchen zu schreiben. Außerdem habe ich das Spiel „Buchstabensuppe“ bekommen. Damit habe ich dann geübt, Wörter zu bilden. Als ich 12 Jahre alt war, ist etwas passiert: Auf einmal ist mir ein Licht aufgegangen. Bücher wurden meine Freunde. Bücher haben mir neue Welten geöffnet. Ich habe andere Geschichten und damit andere Menschen sowie ihre Lebensweisen kennengelernt; ich habe gesehen, wie sie reagieren. Mein Horizont hat sich immer mehr erweitert. Und so bin ich zum Lesen gekommen. Heute lese ich alles, was ich in die Hände bekommen.
Ich habe lange bei meiner Großmutter gelebt. Sie hat mir vieles ermöglicht. Aber sie war auch eine sehr dominante Frau. Sie hat beide Kriege miterlebt. Auch mein Vater hatte eine schwere Kindheit. Er hatte verschiedene Berufe, ist aber auf die schiefe Bahn geraten. Er hatte mit anderen Frauen noch mehrere Kinder, aber er hat sich nie um seine Kinder gekümmert. Ich habe ihn erst mit 14 kennengelernt, aber er wurde nie eine Vaterfigur für mich. Er ist für mich eher wie ein Bekannter. Wenn ich ihn treffe, wechseln wir ein paar Worte, das ist alles. Meine Mutter habe ich auf Wunsch meiner Großmutter dann auch noch kennengelernt. Sie war zu dem Zeitpunkt allerdings sehr starke Alkoholikerin, und ich habe gemerkt, dass ich den Kontakt nicht wollte, weil er mir nicht guttat.
Während meiner Schulzeit wurde ich über die Caritas immer nach Österreich geschickt, aber auch da war mir dann irgendwann klar, dass ich das nicht mehr will. „Du musst aber“, hat meine Großmutter gesagt. Sie wollte, dass ich dadurch mehr Kontakt zu anderen Kindern bekomme. Ich wollte das aber nicht und deswegen bin in den Hungerstreik getreten. Das hat meine Großmutter überzeugt. Ich musste dann nicht mehr nach Österreich. Das war dann allerdings der Einstieg in eine Essstörung, die ich massiv von 1986 bis 1999 hatte. 1999 ging dann gar nichts mehr. Zum Glück bekam ich Hilfe von einer Ärztin. Ich musste das Essen noch einmal komplett neu lernen. Aber auch das habe ich geschafft.
1981 habe ich eine Ausbildung als Krankenpflegehelferin angefangen. Die Ausbildung habe ich mit der Note „1“ abgeschlossen. Aber ich wollte weiter machen, ich wollte Krankenschwester werden. Weil ich kein Abitur hatte, war das schwierig, aber ich wollte es unbedingt! Aber ich konnte dann in der Arbeit zeigen, was ich kann, so dass ich später doch meine Ausbildung zur Krankenschwester anfangen konnte. Ich musste viel mehr lernen als die ganzen Abiturienten. Die sind auf Partys gegangen, ich habe gelernt. Wenn ich etwas möchte, dann beiße ich mich fest und lasse nicht mehr los. Egal, was die anderen sagen, es spielt keine Rolle. Ich gehe meinen Weg! Mein Abschluss als Krankenschwester war besser als der vieler anderer mit höherem Schulabschluss
1994 ist meine Großmutter gestorben. Von einem Tag auf den anderen musste ich erwachsen werden. Ich musste mich um die Wohnung kümmern, ich musste Verträge abschließen. Das hatte mir niemand beigebracht. Mittlerweile war ich im Lesen und Schreiben recht gut, aber in vielen Dingen des Lebens war ich unerfahren. Meine Großmutter hatte mir immer viel abgenommen. Vieles musste ich deswegen auf die harte Tour lernen. Und ich habe viel gelernt! Tennis zum Beispiel. Reiten. Und ich habe eine Ausbildung als Kosmetikerin gemacht. Den Führerschein. Aber irgendwann war alles zu viel. Zu viele Baustellen. Und dann noch das Essproblem.
„Lernen ist ein Prozess. Man ist nicht gleich am Ziel. Vielleicht ist man nie am Ziel. Oder vielleicht gibt es auch viele Ziele. Das Schöne ist aber der Weg. Man lernt die Welt und alles, was sie ausmacht, Stück für Stück besser kennen.“
Daniela Buro
2012 wurde bei mir eine dissoziative Störung diagnostiziert. Das hat sich so geäußert, dass ich manchmal meine Augen nicht mehr aufmachen konnte. Das ist mir im Café passiert, auf der Arbeit oder – ganz gruselig – auf der Straße. Ich bin dann kollabiert und ins Krankenhaus gekommen. Dort wurde ich richtig durchgecheckt. Körperlich war ich gesund, aber meine Psyche war stark angegriffen. Wenn mein Geist nicht mehr konnte, dann hat er die Schotten dicht gemacht. Danach bin ich auf Kur gegangen, das hat mir sehr geholfen. Dort habe ich gelernt, über mich und meine Erlebnisse zu reden. Meine Kindheit war nicht leicht, ich hatte keine Chance, Ur-Vertrauen aufzubauen. Jetzt gehe ich alle vier Jahre zur Kur, dort arbeite ich an meinen Traumata und den psychosomatischen Folgen. Mittlerweile habe ich Methoden, damit umzugehen.
Außerdem bin ich seit über 10 Jahren – nach einer Fazialisparese – bei einer Logopädin. Sie hilft mir nicht nur beim besser sprechen, sondern auch beim Lesen. Mit ihr lese ich zum Beispiel Spinoza, Descartes und vieles mehr. Aktuell sind wir bei „Das Marionettentheater“ von Kleist. Sie hat mir eine Methode beigebracht, wie ich die Texte durch Unterstreichungen besser verstehe. Wörter, die ich nachschauen möchte oder Zitate, die mir sehr gefallen, schreibe ich in ein Heft. So erarbeite ich mir Texte.
„Lesen und Schreiben darf kein Privileg sein. Ich möchte andere motivieren, ebenfalls ihre Horizonte zu erweitern.“
Daniela Buro
Lernen ist ein Prozess. Man ist nicht gleich am Ziel. Vielleicht ist man nie am Ziel. Oder vielleicht gibt es auch viele Ziele. Das Schöne ist aber der Weg. Man lernt die Welt und alles, was sie ausmacht, Stück für Stück besser kennen. Ich bin auf der Reise und wer weiß, wohin mich mein Weg noch führt. Es spielt keine Rolle, woher du kommst, sondern nur wohin du willst. Schritt für Schritt. Niemand hetzt mich. Vielleicht mache ich noch das Abitur?
Das Grund-Bildungs-Zentrum Berlin habe ich 2017 auf der Alpha-Woche in der Bibliothek in Neukölln kennengelernt. Ich fand die Arbeit sehr interessant, deswegen wollte ich helfen. Seitdem unterstütze ich das GBZ. Lesen und Schreiben darf kein Privileg sein. Für mich war das Lesen- und Schreibenlernen sehr schwer. Aber mir hat es geholfen. Ich möchte andere motivieren, ebenfalls ihre Horizonte zu erweitern. Es gibt so vieles, das ich inspirierend finde. Ich mag schöne Dinge. Ich liebe die Oper. Und ich gehe gerne essen.
Mein Tipp für andere Menschen? Man muss sich Ziele setzen. Und dann daran festhalten, egal was andere Menschen sagen; und man muss immer daran glauben, dass man es schafft. Es gibt ein Sprichwort: Du kannst nicht höher fliegen als deine Träume. Das stimmt. Deswegen muss man sich erlauben, zu träumen.
Probleme gibt es immer. Aber wenn man nicht aufgibt, dann kann man vieles schaffen. Nicht alles, aber vieles. Und man lernt auch aus Misserfolgen. Und da sind ja noch die anderen Menschen, die einem helfen. Man muss sich nur trauen, nach Hilfe zu fragen.
Grund-Bildungs-Zentrum
Es gibt bundesweit verschiedene GBZ. Die GBZ beraten Betroffene und ihre Angehörigen, informieren die Öffentlichkeit über Schriftsprachschwierigkeiten und bauen Netzwerke auf. Viele bieten Lernangebote an. In Berlin gibt es keine Kursangebote.