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Erfolgsgeschichte Martina Knies„Ich möchte überall mal reinschnuppern.“

© Foto: Tim-Thilo Fellmer
© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Martina Knies

Lerner-Expertin

„Es gibt viele von uns. Und es gibt viele Hilfsangebote. Wer sich trotz allem nicht traut, der soll sich von anderen begleiten lassen. Niemand muss das allein machen.“

  • kümmert sich gerne um Pflanzen
  • ist ein großer Fan von Micky Maus
  • ist stolz auf sich, weil sie nun mit dem Smartphone umgehen kann
  • Motto: Neugierig bleiben!

Warum ich funktionale Analphabetin bin? Ich hatte mit 16 Monaten eine Hirnhautentzündung. Irgendwie fehlt mir etwas mit meinem Gehirn deswegen. Andere interessieren sich für Dinge, für Bücher zum Beispiel. Die nehmen sich irgendwann ein Buch und lesen. Bei mir ist das nicht so. Wahrscheinlich ist es schon im Kindergarten aufgefallen, aber daran erinnere ich mich nicht. So richtig klar wurde es dann in der Schule. Ich bin dann auf eine Sonderschule gekommen. Irgendwie habe ich schon immer ein bisschen wahrgenommen, dass ich Probleme beim Lesen und Schreiben habe, aber meine Mitschülerinnen und Mitschüler hatten ja ähnliche Probleme. Mein Vater hat mich manchmal „Schnecke“ genannt. Aber mir selbst ist es trotzdem erst so richtig bewusst geworden in meiner Jugend und als junge Erwachsene, vor allem dann, wenn ich mit Ämtern zu tun hatte und auf einmal Texte lesen und verstehen musste. Das Jobcenter hat mich dann in verschiedene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesteckt. Ich habe zum Beispiel einen Nähkurs gemacht. In einer Maßnahme habe ich dann eine ältere Dame kennengelernt. Die hat gemerkt, dass ich Probleme mit dem Lesen habe. Irgendwann fragte sie mich, ob ich nicht mal Lust hätte, etwas Neues zu lernen. Hatte ich eigentlich nicht. Aber sie hat so gedrängelt. Ich war schon etwas über 50 Jahre alt, als ich gesagt habe, na gut, ich mach das jetzt! Ich wollte dann zu Lesen und Schreiben e.V., das ist ein Verein, bei dem man Vollzeitkurse machen kann. Das Jobcenter wollte mir das zuerst nicht bezahlen, aber ich habe mich dahintergeklemmt und zum Glück haben sie dann irgendwann zugestimmt.

„Ich habe in dem Kurs aber nicht nur besser Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe dort auch einen alten Bekannten wiedergetroffen. Wir haben uns verliebt und mittlerweile sind wir verheiratet.“

Martina Knies

Wenn man später als andere anfängt mit dem Lernen, ist das nicht leicht. Mir jedenfalls war das am Anfang alles etwas zu viel. Ich habe nicht so schnell verstanden, wie ich eigentlich wollte. Aber ich habe durchgehalten. Und nach ein oder zwei Monaten wurde es dann besser. Eigentlich sollte ich nur ein Jahr den Kurs machen. Aber zuletzt war ich 4 Jahre da.

© Foto: Tim-Thilo Fellmer
© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Außerdem engagiere mich für das Thema Grundbildung, auch darauf bin ich stolz. Ich möchte anderen helfen, die das gleiche Problem haben wie ich. Ich bin immer offen und ehrlich damit umgegangen, dass ich nicht gut lesen und schreiben kann. Aber ich weiß, dass es für viele andere sehr schwierig ist, darüber zu sprechen. Es braucht Mut. Und ich möchte dazu beitragen, dass auch andere mutig sind und den Schritt wagen, als Erwachsener noch einmal neu zu lernen.
Ich finde, es lohnt sich! Und wer sich nicht allein traut, der kann sich helfen lassen. Ich würde auch Menschen begleiten, um ihnen so die ersten Schritte zu erleichtern.

Ich habe in dem Kurs aber nicht nur besser Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe dort auch einen alten Bekannten wiedergetroffen. Wir haben uns verliebt und mittlerweile sind wir verheiratet.  Durch die vier Jahre dort hat sich vieles für mich verbessert. Heute bin ich keine Schnecke mehr. Auch wenn ich immer noch finde, dass es nicht schlecht ist, Sachen in Ruhe zu tun. Für mich am wichtigsten ist, dass ich jetzt besser mit dem Handy und mit Computern umgehen kann. Hierfür, zu wissen, wo ich hin klicken muss und wie ich mit WhatsApp Nachrichten schreibe, ist das Lesen und Schreiben oft Voraussetzung. Ohne Handy geht heute gar nichts mehr und ich bin froh, dass ich es nutzen kann. Ich benutze zwar lieber Sprachnachrichten, aber wenn mir jemand Text schickt, kann ich das auch lesen. Das, was ich über das Handy gelernt habe, habe ich dann auch meinem Mann beigebracht. Der kann das jetzt auch.

„Dass ich es geschafft habe, mit Hilfe des Jobcenters noch einmal einen Kurs zu machen, war mein größter Erfolg. Und andere können das auch schaffen.“

Martina Knies

Schon während der vier Jahre, aber jetzt immer noch, engagiere ich mich dafür, dass auch andere Menschen mit Problemen beim Lesen und Schreiben noch mal einen Kurs machen. Das macht mir Spaß. Früher war ich schüchtern, aber ich bin mutiger geworden. Und auch mein Mann ist durch mich mutiger geworden. Ich lerne jetzt gerne andere Leute kennen, weil ich neugierig bin auf deren Geschichte. Ich freue mich, wenn sie noch mal lernen wollen. Wenn sie mich fragen: „Wie machst du das?“ dann sage ich: „Ich versuche es einfach!“ Ich mag an mir, dass ich mir alles zutraue. Wenn sich andere Betroffene noch nicht trauen, dann empfehle ich ihnen zum Grund-Bildungs-Zentrum zu gehen und sich helfen zu lassen. Auch das Jobcenter kann ich empfehlen, ich habe da gute Erfahrungen gemacht. Es gibt viele von uns. Und es gibt viele Hilfsangebote. Wer sich trotz allem nicht traut, der soll sich von anderen begleiten lassen. Niemand muss das allein machen. Mich hat auch die ältere Dame begleitet, die ich schon erwähnt habe. Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke: Dass ich es geschafft habe, mit Hilfe des Jobcenters noch einmal einen Kurs zu machen, war mein größter Erfolg. Und andere können das auch schaffen. Aktuell bin ich besonders stolz darauf, dass ich nun mit dem Handy umgehen kann.

Was gibt es noch über mich zu sagen? Vieles! Ich kümmere mich ums Essen und ich habe ein Beet hinterm Haus angelegt. Ich kümmere mich gerne um Pflanzen. Und: Ich bin großer Fan von Mickey Mouse. Schon seit meiner Kindheit. Als Kind hatte ich einen Pullover. Seitdem sammle ich Mickey Mouse Sachen und trage auch immer welche. Ich würde gerne ein Bild von Mickey Mouse auf meine Hose malen. Da gibt es großartige Videos auf Youtube, wo man das lernen kann, aber so richtig traue ich mich da noch nicht ran. Aber bald!

Als Analphabet wird jemand bezeichnet, der nicht lesen und schreiben kann. In Deutschland ist dies sehr selten. Viele Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, können meist Buchstaben und Wörter lesen, haben aber Probleme mit Texten. Auch weil das Wort „Analphabet“ ausgrenzend ist, sprechen wir besser von „gering literalisierten Personen“. Viele Betroffene bezeichnen sich allerdings selbst manchmal als Analphabeten, weil der Begriff bekannt ist und nicht erklärt werden muss.

„e.V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.

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