Siegfried Weiland
Lerner-Experte
„Mir war klar: ich wollte ein anderes Leben!“
- stellt gern schöne Dinge aus Holz her
- hat in Berlin gute Freunde gefunden
- unterstützt das GBZ seit 2014
- Motto: Du kannst dein Leben ändern!
Hallo, mein Name ist Siegfried Weiland. Ich bin 1962 in Unterbach-Oberbach, Nordrhein-Westfalen, geboren. Da haben wir aber nur kurze Zeit gewohnt. Die Zeche wurde zugemacht und wir sind nach Gräfrath gezogen. Aber auch nur vorübergehend. Dann ging’s ein paar Kilometer weiter nach Vinkrath.
Dass ich Probleme bei Lesen und Schreiben habe, wurde schon in der Schule klar. Doch ich war nicht der Einzige. Auch andere Jungen hatten Schwierigkeiten. Wir waren über 40 Kinder in der Klasse und da konnte man sich nicht um jeden kümmern. Die Kinder mit Schwierigkeiten beim Lernen wurden nach hinten gesetzt, damit sie nicht stören. Meine Eltern, mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Holländerin, konnten mir und meinen drei Geschwistern nicht helfen, weil sie im Schichtdienst gearbeitet haben und wenig Zeit hatten.
„Wenn du falsche Freunde hast, kommst du im Leben nicht weiter.“
Siggi Weiland
Ich habe viel geändert: Ich habe mit über 40 völlig neu angefangen. Ich habe die Stadt gewechselt. Ich habe aufgehört zu trinken. Ich habe noch einmal angefangen zu lernen. Und ich habe sehr gute Freunde in Berlin gefunden. Wenn du falsche Freunde hast, kommst du im Leben nicht weiter. Deswegen engagiere ich mich für das Thema Grundbildung. Ich möchte nicht, dass andere ähnliche Fehler machen wie ich. Man muss aus seinen Fehlern lernen. Lernen ist wichtig. Lesen, schreiben, rechnen – das braucht man fürs Leben. Das ist nicht immer leicht, aber wenn man positiv bleibt und den Kopf nicht in den Sand steckt, bekommt man es hin. Und manchmal braucht man einfach jemanden, der einem die Hand reicht, richtige Freunde!
Ich bin mit 18 von zu Hause ausgezogen. Zuerst habe ich bei meinem Vater in der Großgärtnerei gearbeitet. Dort wollte ich dann eine Lehre machen, doch nach kurzer Zeit ging die Firma pleite. Anschließend habe ich bei einer Textilfirma angefangen. Dort war ich 11 Jahre. Als der Sohn des Inhabers die Firma übernommen hat, ging es bergab und es musste ordentlich reduziert werden. Ich bin dann von selbst gegangen und habe mir eine Arbeit beim Wachdienst gesucht. Das habe ich auch mehrere Jahre gemacht, bis meine Arbeitgeber umgezogen sind. Ich hätte mit umziehen müssen und das wollte ich nicht.
Ende 2010 bin ich dann doch umgezogen – und zwar bin ich nach Berlin gezogen. Das kam so: Davor gab es dann eine Phase mit falschen Freunden und viel Sauferei. Dann ist eine gute Freundin nach Berlin gezogen, ich habe ihr bei Umzug geholfen, und sie hat gesagt, „Mensch Siggi, du kannst doch einfach hierblieben …“, aber ich habe gesagt, „Das kann ich nicht machen.“ Ich bin dann zurück nach NRW und habe versucht, einen neuen Job zu bekommen, aber das wurde nichts. Irgendwann wurde mir das alles zu viel. Ich habe mich hingesetzt und über mein Leben nachgedacht. Ich habe erkannt, so geht das nicht weiter. Dann habe ich meine Freundin in Berlin angerufen, das war kurz vor Weihnachten, und ich habe ihr alles erzählt. Sie hat gesagt, sie wäre in zwei Wochen in Nordrhein-Westfalen und ich soll schon mal eine Reisetasche packen. Ich habe dann meine Tasche gepackt – und Silvester habe ich schon in Berlin verbracht. Und da bin ich geblieben.
Einen Job in Berlin zu finden, war allerdings nicht leicht. Aber meine Freundin und ihr Freund haben mir geholfen, hier Fuß zu fassen. Durch sie habe ich eine Wohnung bekommen. Meine Freundin hat mir auch geholfen beim Kontakt mit dem Jobcenter. Es gab mehrere Situationen, da sah es aus, als müsste ich zurück nach NRW oder würde kein Geld mehr bekommen. Aber ich hatte wirklich Glück, hier so gute Freunde zu haben, die mich beim Kontakt mit Ämtern und allem immer unterstützt haben.
Ich hatte mir schon länger gewünscht, besser lesen und schreiben zu können. Meine Freundin hat mir auch hier geholfen. „Hier in der Großstadt muss man viele Schilder lesen“, hat sie gesagt. „Man muss wissen, wie man mit der U-Bahn fährt. Hier braucht man das. Aber du muss auch wirklich mitmachen!“ Ich habe gesagt: „Ich mache auf jeden Fall mit.“ Mir war klar: Ich wollte ein anderes Leben.
Einen Job habe ich in Berlin dann leider nie bekommen. Aber als ich bei dem Jobcenter dann offen über mein Problem gesprochen haben, hat mir jemand einen Flyer von Lesen und Schreiben e.V. gegeben. Das war 2012. Meine Freundin hat dann für mich da angerufen, und wir haben einen Termin ausgemacht. Bei Lesen und Schreiben e.V. hatte ich erst ein Gespräch mit der Sozialarbeiterin – und dann habe ich sofort da angefangen. Irgendwann wollte mir das Jobcenter den Unterricht nicht mehr finanzieren, aber mit Hilfe der Sozialarbeiterin von Lesen und Schreiben e.V. und eines Anwalts hat es dann doch geklappt. Ich war insgesamt drei Jahre dort. Danach habe ich bei der VHS-Neukölln weitergelernt. Da bin ich noch heute.
„An alle Menschen da draußen, die ein ähnliches
Siggi Weiland
Problem haben wie ich: überwindet euch! Traut euch! Fangt noch einmal an zu lernen!“
Was sich für mich geändert hat, seitdem ich noch einmal lerne? Lesen ist gut. Du gehst einfach besser durch die Welt. Mein ganzes Leben ist, seit ich wieder lerne, positiver geworden. Und wenn du mal absolut nicht weiterkommst – du hast ja einen Mund. Und jetzt traue ich mich auch, ihn zu benutzen. An alle Menschen da draußen, die ein ähnliches Problem haben wie ich: überwindet euch! Traut euch! Fangt noch einmal an zu lernen! Euer Leben wird sich zum Guten ändern!
Ich bin stolz, dass ich jetzt viel besser durchs Leben komme. Und dass ich jetzt mehr mit meinem Leben anzufangen weiß. Eins meiner Hobbies ist heute, aus Holz schöne Dinge zu bauen. Wir sind in unserer Familie alle handwerklich geschickt. Da hat mein Vater uns viel beigebracht.
„e.V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.
Grund-Bildungs-Zentrum
Es gibt bundesweit verschiedene GBZ. Die GBZ beraten Betroffene und ihre Angehörigen, informieren die Öffentlichkeit über Schriftsprachschwierigkeiten und bauen Netzwerke auf. Viele bieten Lernangebote an. In Berlin gibt es keine Kursangebote.