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Erfolgsgeschichte Ute Holschumacher„Lesen und Schreiben machen die Welt bunter!“

© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Ute Holschumacher

Lerner-Expertin

„Ich engagiere mich für das Thema, weil ich nicht will, dass sich die Menschen mit Problemen verstecken – so wie ich damals.“

  • erzählt anderen ihre Geschichte, um Mut zu machen!
  • kocht gerne
  • bearbeitet ihre Post alleine
  • Motto: Aufstehen, Krönchen richten und weitermachen.

Mein Name ist Ute Holschumacher. Wie es dazu kam, dass ich im Erwachsenenalter noch mal neu Lesen und Schreiben gelernt habe? Ich habe in der Küche und Kantine gearbeitet. Ich konnte gut kochen, aber ich konnte die Kalkulation nicht machen und kein Essen bestellen. Das wurde noch schwerer, je mehr man das mit Computern machen musste. Weil ich nicht richtig lesen und schreiben konnte, bin ich gemobbt worden. Das habe ich ein paar Jahre ausgehalten. Aber dann habe ich mir Hilfe gesucht. Ich bin in eine Therapie gegangen. Das war das Beste, was mir im Leben passiert ist. Ich bin arbeitslos geworden und habe dann vom Jobcenter die Adresse von Lesen und Schreiben e. V. bekommen. Da war ich zwei Jahre. Danach war ich noch vier Jahre in der VHS.

„Es war mein Traum, Lesen und Schreiben zu lernen. Dieser Traum hat mir die Kraft gegeben, dranzubleiben.“

Ute Holschumacher

Ich habe mir schon als junge Frau immer gewünscht, besser lesen und schreiben zu können. Als ich Mutter geworden bin, konnte ich nicht mal verstehen, was auf der Babynahrung stand. Und in der Schule konnte ich meiner Tochter auch nicht helfen. Leicht war das alles nicht. Ich musste auch immer arbeiten und hatte kaum Zeit.

Es war mein Traum, Lesen und Schreiben zu lernen. Dieser Traum hat mir die Kraft gegeben, dranzubleiben. Man braucht schon Durchhaltevermögen, und das hatte ich nicht immer. Aber ich habe nicht aufgegeben. Ich bin morgens aufgestanden, habe mein Krönchen gerichtet und bin wieder lernen gegangen. Es hat Tränen gekostet – aber im Endeffekt habe ich es durchgezogen. Und es hat sich gelohnt.

© Foto: Tim-Thilo Fellmer
© Foto: Tim-Thilo Fellmer

Jetzt bin ich mutiger geworden und ich habe ein größeres Selbstwertgefühl. Ich lese und bearbeite meine Post allein. Ich gehe wählen. Und ich bin nicht mehr die kleine Maus, die sich alles gefallen lässt. Ich habe immer mehr dazugelernt und mich immer weniger versteckt. Was ich jetzt auch kann: „Nein“ sagen, wenn mir etwas nicht gefällt. Früher konnte mit mir jeder machen, was er wollte. Das ist heute nicht mehr so. Ich bin so dankbar für diese Entwicklung. Und ich lerne immer noch dazu. So bin ich in die Öffentlichkeitsarbeit gekommen. Denn eine meiner Stärken ist: Ich war immer auch ein sehr neugieriger Mensch. Urda Thiessen von Lesen und Schreiben e. V. hat uns immer überall mit hingenommen; so war ich immer mehr in der Öffentlichkeit. Und irgendwann wurde ich gefragt, ob ich mal ein Interview machen würde. So hat das angefangen. Mittlerweile war ich in vielen Medien, deutschlandweit. Neulich war ich zum Beispiel in der Talkshow Nachtcafé des SWR bei Michael Steinbrecher. Ich habe gemerkt, dass ich das gut kann. Die Menschen wollen meine Geschichte und die Geschichten anderer Betroffener hören!

Viele denken vorher, dass Menschen, die Probleme beim Lesen und Schreiben haben, in der Schule faul waren. Aber wenn sie hören, was ich und andere Betroffene erzählen, dann wissen sie, dass es nicht unsere Schuld war. Das kann jedem passieren.

Mein Ziel: Von 6,2 Millionen gering Literalisierten besuchen immer noch weniger als 1 % einen Kurs. Ich erzähle meine Geschichte, um diesen Menschen Mut zu machen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Schule ist heute nicht mehr wie früher. Man sollte sich aber bewusst sein: Man braucht Zeit. In zwei, drei Monaten ist das nicht zu lernen. Großartig ist allerdings, dass die meisten Einrichtungen auch Beraterinnen oder Sozialarbeiter haben, die dir bei anderen Problemen helfen. Denn wer nicht lesen und schreiben kann, braucht oft auch in anderen Lebensbereichen Unterstützung. Erst wenn diese Probleme gelöst sind, hat man den Kopf frei zum Lernen.

Ich engagiere mich für das Thema, weil ich nicht will, dass sich die Menschen mit Problemen verstecken – so wie ich damals.

Für das Grund-Bildungs-Zentrum mache ich viel in Berlin. Ich bin stolz, dass ich zum Beispiel dazu beitragen konnte, dass das Wahlkreisbüro von Bundestagsabgeordnetem Hakan Demir das Alpha-Siegel gemacht hat. Es ist wichtig, dass die Politik das Thema kennt und ernst nimmt. Und ich bin mit dem ALFA-Mobil deutschlandweit unterwegs und treffe Bürgermeister und Politikerinnen. Das sind alles Menschen. Ich habe keine Angst mehr, ihnen gegenüber offen meine Meinung zu sagen. Und ich freue mich, wenn sie von unseren Treffen etwas mitnehmen.

Mein Tipp an Menschen mit dem gleichen Problem, die noch Angst haben: Es gibt viele niedrigschwellige Angebote, bei denen man vorbeischauen kann: Mehrgenerationenhäuser z. B. Dort gibt es Beraterinnen und Berater, die einem weiterhelfen können beim nächsten Schritt.

„Ich erzähle meine Geschichte, um Menschen Mut zu machen. Sie brauchen keine Angst zu haben.“

Ute Holschumacher

Mein Tipp an Eltern: Nehmt euch Zeit für eure Kinder. Die Schule kann nicht alles tun. Beschäftigt euch zu Hause mit dem Thema Lesen und Schreiben. Lest Euren Kindern etwas vor. Unterstützt bei den Hausaufgaben. Aber überfordert Eure Kinder nicht. Wenn ihr es allein nicht schafft, holt euch Hilfe. Davon gibt es genug. Ich gehe deswegen sehr gern in das Mehrgenerationenhaus bei mir um die Ecke. Ich treffe mich auch mit Leuten, die das gleiche Problem haben wie ich. Wir tauschen und aus, helfen uns gegenseitig, kochen zusammen. Ich koche sehr gerne!

Heute freue ich mich, wie weit ich gekommen bin. Aber ich erinnere mich auch noch gut an damals. Mein erster, großer Erfolg war, als ich beim Jobcenter mit Hilfe meiner Vermittlerin einen Bescheid lesen konnte. Als ich das geschafft hatte, wusste ich: Ich kann noch mehr erreichen. Seitdem sage ich mir immer: „Mädchen, gib nicht auf. Du schaffst das! Lesen und schreiben machen die Welt bunter.“

zum Beispiel

„e. V.“ ist die Abkürzung für „eingetragener Verein“ und bezieht sich auf eine bestimmte Rechtsform für Vereine in Deutschland. Ein eingetragener Verein ist eine Organisation, die sich aus einer Gruppe von Menschen zusammensetzt, die gemeinsame Interessen oder Ziele haben.

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